Hans Jellouschek, 1939 in Linz geboren, hat zwölf Bücher veröffentlicht, darunter „Wie Partnerschaft gelingt. Spielregeln der Liebe“.© Theodor Barth
Die Scheidungsrate ist auf einem Höchststand. Hält die Niederlassungszahl von Therapeuten mit?
Die Niederlassungszahl von Paartherapeuten ist schon deshalb eher bescheiden, weil Paartherapie grundsätzlich nicht von der Krankenkasse getragen wird, sondern privat bezahlt werden muss.
Was lernt das Paar?
Es kommt ja zu mir, weil es mit einem Problem allein nicht mehr fertig wird. Wir suchen dann einen Weg, wie es mit diesem Problem besser umgehen kann.
Nehmen wir ein Beispiel: Hans und Grete, beide Ende dreißig, verheiratet, ein Kind, haben sich auseinander gelebt. Sie teilen noch Alltagstrott, Fernseher und Strandkorb im Urlaub, aber es gibt keine gemeinsamen Interessen, keine Gespräche, keine Utopien, keinen Sex. Was machen Sie?
Der erste Schritt: beiden Anerkennung dafür aussprechen, dass sie ihr Problem angehen. Der zweite Schritt: Mit dem Paar die Gründe herausfinden, aus denen sie sich auseinander gelebt haben. Irgendetwas in ihrer Beziehung ist in eine Schieflage geraten. Vielleicht fehlt – sehr häufig! – die Balance zwischen dem Engagement des Mannes für den Beruf und für die Familie, vielleicht hat sich eine Einseitigkeit eingespielt – einer will immer bestimmen, der andere soll sich unterordnen, einer gibt immer, der andere nimmt immer -, vielleicht existiert auch ein anderer Grund für wachsende Entfremdung. Man muss ihn herausfinden und dann überlegen, was man ändern kann.
Das klingt simpel.
Ist es aber nicht immer. Denn auch an eine Schieflage gewöhnt man sich, und etwas Gewohntes aufzugeben, erscheint bedrohlich. Viele Paare haben Angst vor diesem Neuland. Hinzu kommt, dass die Probleme, die sich in einer Paarbeziehung zeigen, meist schon aus den Herkunftsfamilien mitgebracht werden. Man spielt eingelernte, altvertraute Rollen, und deren Veränderung ist oft schwierig.
Wer hat eher den Mut, Neuland zu betreten – Frauen oder Männer?
Früher kamen die Anmeldungen für eine Paartherapie fast ausschließlich von Frauen. Inzwischen ist bei Männern das Verlangen nach Veränderung und die Bereitschaft dazu deutlich größer geworden. Der Wunsch nach therapeutischer Hilfe kommt heute zur Hälfte von ihnen.
Das Gespräch zwischen zwei Partnern wieder anzufachen, ist eine Sache. Wie macht man ihnen wieder Appetit auf Sex?
Die sexuelle Unlust in einer Beziehung ist eigentlich nie die Ursache von Problemen, sondern immer die Folge. Wenn es eine Schieflage in der Partnerschaft gibt und die Partner sich nicht mehr als ebenbürtig empfinden, vergeht einem von beiden mit Sicherheit auch der Appetit auf Sex.
Kehrt der automatisch zurück, wenn die Schieflage ausgeglichen ist?
Nicht automatisch. Aber wenn das Paar sich sexuell einmal wirklich gut verstanden hat, dann hat es auch für die Zukunft das Potenzial für lebendige Sexualität.
Ihr Kollege Michael Mary sagt, auch ganz ohne Sex könne es glückliche Partnerschaft geben.
Die Rolle der Sexualität wird tatsächlich meist überschätzt, sie ist ein Faktor unter anderen, aber nicht der einzige und entscheidende. Schwierig wird es nur dann, wenn die Bedürfnisse der Partner in diesem Punkt sehr unterschiedlich sind.
Gibt es das: beide haben keine?
Wenn ein Paar ganz ohne Sexualität lebt, fehlt ihm natürlich eine ganz wesentliche Qualität von Beziehung. Es gibt aber Paare, die diesen Mangel als nicht so wichtig bewerten und damit anscheinend ganz gut klar kommen. Ob sie allerdings wirklich glücklich sind, ist schwer zu entscheiden.
Der Sexualtherapeut Ulrich Clement hat gesagt, Partnerschaft sei eine „freundlich-kooperative Reduzierung der sexuellen Wünsche auf den kleinsten gemeinsamen Nenner“. Dann ist doch Lustlosigkeit früher oder später die logische Konsequenz!
Umgekehrt! Lustlosigkeit tritt ein, wenn es in der Partnerschaft zu einer solchen sexuellen Kompromissbildung gekommen ist. Das ist eine Gefahr aber kein Naturgesetz. Klar, wenn man nur noch einen schmalen Ausschnitt seiner Wünsche und Fantasien lebt, wird es auf die Dauer langweilig. Ein Paar sollte sein sexuelles Spektrum nicht verengen, sondern miteinander erweitern.
Jellouschek in seiner Praxis in Entringen bei Tübingen© Theodor Barth
Gemeinsam Pornos gucken? Swingerclub?
Man sollte schon den Mut zu Experimenten haben, aber jedes Paar muss einen Weg finden, mit dem beide einverstanden sind.
Kann ein Paar das Naturgesetz aushebeln, nach dem die erotische Spannung erlischt, wenn der Partner zum „Individuum mit Heimcharakter“ geworden ist? Vertrautheit und Erotik schließen sich nicht aus. Im Gegenteil. Ich erlebe sehr oft, dass Vertrautheit gerade die Voraussetzung dafür ist, sich in der Sexualität wirklich einzulassen. Vielleicht ist sie dann im ersten Moment nicht mehr der ultimative Nervenkitzel, aber dafür wird von den Partnern eine viel größere Intensität erlebt. Das erleben Männer und Frauen übrigens absolut gleich. Freilich muss man darauf achten, den Partner nicht zum Inventar des eigenen Lebens zu machen wie die Möbel in der Wohnung. Dann gibt es keine Spannung, keine gegenseitige Anziehungskraft mehr. Also soll man auch als Paar ein bisschen unverheiratet bleiben? So kann man es sagen. Gewohnheit und Alltag dürfen nicht überhand nehmen. Paare sorgen oft zu wenig für sich selbst, sie lassen sich auffressen von allen möglichen Pflichten und kommen der Pflicht nicht nach, auch für sich da zu sein. Man muss immer wieder mal etwas ausdrücklich für den anderen tun, man muss Inseln schaffen für Zweisamkeit, ausbrechen aus dem Trott des šblichen, Wochenenden und Urlaubszeiten für sich als Paar reservieren und so weiter.
Was sind neben Lustverlust die gefährlichsten Bedrohungen für eine Partnerschaft? Die Ursachen bestehen eigentlich immer darin, dass die Balance in einer Partnerschaft nicht mehr gelingt. Weil beispielsweise die Polarität zwischen Autonomie und Bindung nicht ausgeglichen wird – einer will ein absolut selbstständiges Leben, der andere eine ganz enge Beziehung. Oder weil die Polarität zwischen Geben und Nehmen in eine Schieflage geraten ist, oder die Balance der Macht nicht mehr ausgeglichen wird. Auch wenn Kinder geboren werden, muss eine neue Balance gefunden werden, die vielen Paaren schwer fällt. Auch wenn Kinder gewünscht wurden? Ja. Der Übergang vom Paar zur Familie wird in seinem Krisenpotenzial häufig unterschätzt. Selbst wenn das Kind für die Eltern eine große Bereicherung darstellt, gibt es eine neue Dynamik. Klassisch ist der Konflikt, der entsteht, weil die Frau sich jetzt um das Kind kümmert und der Mann sich ausgeschlossen fühlt. Oder dass der Mann sich in die Karriere stürzt und seine Frau mit dem Kind allein lässt. Oft werden solche Konflikte aber nicht ausgesprochen, und dann kann es zur Symptombildung kommen. Wegen jeder Kleinigkeit wird dann beispielsweise gestritten, oder die Sexualität kommt zum Erliegen, oder einer der Partner wird depressiv.
Was macht ein Paar nach der Therapie anders?
Sie reden mehr miteinander. Sie nehmen stärker das Positive wahr. Sie loben sich mehr. Sie entwickeln mehr Achtsamkeit für ihre Partnerschaft. Sie gehen mehr aufeinander ein und aufeinander zu.
Wie viele gehen trotzdem auseinander? Ich habe sie nicht gezählt, etwa ein Drittel. Das kann man auch ohne Therapie haben. Nein. Es sind häufig trennungsgefährdete Paare, die kommen. Wenn zwei Drittel von ihnen einen Neuanfang schaffen, ist das ein Erfolg.
Warum hängen trotz der hohen Scheidungsquoten Menschen so hartnäckig an einem Partnerschaftsmodell, das als Versorgungseinrichtung nicht mehr gebraucht wird und als Glückverheißung regelmäßig versagt? Ist es die Angst vor Einsamkeit? Sind es die Happy-Ends in Hollywood-Filmen?
Die Paarbeziehung entspricht einem fundamentalen Bedürfnis der Menschen, heute vielleicht sogar noch stärker als früher. Denn wir sind ja alle nicht mehr so fest in soziale Beziehungen eingebunden wie unsere Großväter. Und überall ist immer nur eine Funktion von mir gefragt – im Beruf, in der Partei, im Sportverein. Nur in der Partnerschaft bin ich als der ganze Mensch, der ich bin, gefragt und bejaht. Daher diese tiefe Sehnsucht nach einem Partner, der mich wahrnimmt und annimmt – und zwar auf Dauer.