Jede Woche beantwortet der Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer eine große Frage der Liebe. Diesmal: Darf er sich Trost bei der Schwiegermutter holen?
Die Frage: Elke und Matthias waren drei Jahre lang ein Paar. Niemand aus ihrem Bekanntenkreis hätte gedacht, dass die beiden sich plötzlich trennen würden. Am allerwenigsten Matthias. Und so ist es ein Schock für ihn, als seine Freundin ihm eines Abends mitteilt, dass sie ihn künftig nicht mehr sehen will. Matthias kann Elkes Entscheidung nicht im Mindesten verstehen, scheint doch für ihn alles in Ordnung zu sein. Matthias beschließt, bei Elkes Mutter Rat zu suchen, mit der er sich in den letzten Jahren so gut verstanden hatte und die ihn bislang als zukünftigen Schwiegersohn betrachtete. Als Elke ihre Mutter kurz nach der Trennung besucht, um sich selbst trösten zu lassen, sitzt Matthias auf dem mütterlichen Sofa. Elke ist außer sich vor Wut. Sie fühlt sich von Matthias und vor allem von ihrer Mutter hintergangen.
Wolfgang Schmidbauer antwortet: Die liebevolle Bindungskraft von Blutsverwandtschaft wird überschätzt. Blut mag dicker sein als Wasser, aber Familien sind oft auch von Hassliebe durchtränkt. Wüsste Elke darum, könnte sie vielleicht besser verstehen, warum ihre Mutter die plötzliche Abneigung gegen Matthias keineswegs teilt – und ihm sogar ohne ihr Wissen Trost spendet. Das ist ärgerlich, aber noch kein Zeichen eines Charaktermangels. Auch Eltern haben das Recht, frei zu entscheiden, wer auf ihrem Sofa sitzen darf. Elkes Mutter sollte sich aber fragen, ob sie unterschwellig mit ihrer Tochter um die Rolle der besseren Frau rivalisiert. Und ob sie Elke vielleicht sogar etwas aus Zeiten heimzahlt, als sie mit ihrer Tochter um die Zuneigung ihres Mannes rangeln musste.
Wolfgang Schmidbauer, 68, ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten. Sein Buch zu dieser Kolumne ist soeben erschienen: „Lässt sich Sex verhandeln?“, Gütersloher Verlagshaus 2009
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- QUELLE: DIE ZEIT, 13.08.2009 Nr. 34
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